Das Schmerzgehirn – Wie unser Gehirn Schmerz erschafft und warum das wichtig ist
Kommt Ihnen diese Erfahrung bekannt vor: «Autsch – die Herdplatte war heiss»! Blitzschnell noch bevor das Gehirn den Schmerz bewusst registrieren kann, zieht sich die Hand ruckartig zurück. Diese Reaktion wird durch einen sogenannten Reflexbogen ermöglicht. Sobald die Information „heiss“ das Rückenmark erreicht, wird sie direkt an die Muskulatur der betroffenen Gliedmaßen weitergeleitet, ohne den Umweg über das Gehirn zu nehmen. Dadurch geschieht die Bewegung innerhalb von Millisekunden – lange bevor das Schmerzsignal im Bewusstsein ankommt.
Dieser Mechanismus verdeutlicht die lebenswichtige Funktion von Schmerz: Er dient als Schutzsignal des Körpers, das vor potenziell schädlichen Einflüssen wie Hitze, Kälte, physikalischen Verletzungen oder chemischen Reizen warnt. Schmerzempfindung ist somit ein essenzieller Teil unserer Überlebensstrategie, der uns vor ernsthaften Verletzungen bewahrt.
Schmerz ist eine universelle Erfahrung: Jeder Mensch kennt ihn, sei es der pochende Schmerz nach einer Verletzung, der brennende Schmerz bei einer Entzündung oder der dumpfe Schmerz in den Gelenken, der mit dem Alter kommt. Doch was, wenn ich Ihnen sage, dass Schmerz nicht einfach nur ein Signal für Gewebeschäden ist, sondern in erster Linie im Gehirn entsteht? Willkommen in der faszinierenden Welt des Schmerzgehirns. Das Konzept des „Schmerzgehirns“ bezieht sich auf die komplexen neuronalen Netzwerke und Prozesse im Gehirn, die an der Wahrnehmung, Modulation und chronischen Manifestation von Schmerzen beteiligt sind.
Schmerz, was ist das konkret?
Schmerz dient als wesentliches Alarmsignal des Körpers, das auf potenzielle oder reale Gefahren aufmerksam macht. Ohne diese schützende Funktion würden wir uns oft schwer verletzen, ohne es wahrzunehmen. Medizinisch betrachtet wird Schmerz als unangenehme Sinnes- und Gefühlserfahrung definiert, die mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht. Die Ursachen für Schmerz sind vielfältig und können sowohl äußere Einflüsse wie Kälte, Hitze oder Verletzungen als auch innere Faktoren wie Entzündungen oder Störungen des Nervensystems umfassen. In nahezu allen Körperregionen finden sich Nervenfasern, die auf verschiedene Reize wie Temperatur, Druck oder Gewebeschäden reagieren und diese Informationen über spezialisierte Rezeptoren an das Gehirn weiterleiten. Interessanterweise ist das Gehirn selbst frei von Schmerzrezeptoren und daher schmerzunempfindlich.
Doch Schmerz ist mehr als eine rein physische Reaktion. Er stellt eine komplexe Kombination aus sensorischen, emotionalen und kognitiven Prozessen dar, die alle im Gehirn zusammenlaufen. Schmerz ist eine höchst subjektive Empfindung, die von jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommen wird auch hormonelle Komponenten können das spezifische Schmerzempfinden verändern: Zum Beispiel Frauen während der Menstruation, Schwangerschaft oder in der Menopause können teils ein gesteigertes Schmerzempfinden aufweisen.
Der Schmerz muss auch nicht zwangsläufig eine erkennbare körperliche Ursache haben: Besonders chronischer Schmerz verliert seine ursprüngliche Warnfunktion und wird zu einer eigenständigen Erkrankung: Sie können zu strukturellen und funktionellen Veränderungen in diesen Bereichen führen, was die Schmerzempfindlichkeit erhöht, und die Schmerzbewältigung erschwert.
Auch psychische Belastungen können körperliche Schmerzen hervorrufen, was als psychosomatischer Schmerz bezeichnet wird. Die psychische Verfassung spielt dabei eine zentrale Rolle: Negative Emotionen wie Trauer oder Niedergeschlagenheit verstärken häufig die Schmerzempfindlichkeit, während positive Gefühle schmerzlindernd wirken können.
Weitere Details in meinem nächsten Bog «Schmerz – Ein komplexes biopsychosoziales Phänomen»
Das Gehirn als Schmerzmacher
Der Gedanke, dass Schmerz im Gehirn erzeugt wird, mag überraschend klingen. Schließlich spüren wir ihn in einem bestimmten Teil unseres Körpers – im Rücken, im Knie oder in den Fingern. Aber tatsächlich gibt es im Körper keine „Schmerzrezeptoren“, wie oft geglaubt wird.
Was es gibt, sind Nozizeptoren – spezialisierte Nervenendigungen, die auf potenziell schädliche Reize reagieren. Diese Reize werden über das Rückenmark ans Gehirn gesendet, wo sie verarbeitet und interpretiert werden. Erst das Gehirn entscheidet, ob und wie intensiv wir Schmerz empfinden.
Aber warum sollte das Gehirn manchmal Schmerz erzeugen, selbst wenn keine Verletzung vorliegt? Hier kehren wir zurück zu den chronischen Schmerzen: Denn wenn das Schmerzsystem des Gehirns über lange Zeit aktiviert bleibt, kann es sozusagen sprichwörtlich „lernen“, Schmerz auch ohne klaren äußeren Auslöser zu erzeugen! Das Gehirn wird empfindlicher und interpretiert selbst harmlose Signale als schmerzhaft. Dieses Phänomen nennt man „zentralisierte“ oder „neuropathische“ Schmerzen. Das bedeutet, dass der Schmerz mehr ein Produkt des Gehirns ist als eine Reaktion auf tatsächliche Gewebeschäden. Übrigens auch hier spielen diverse hormonelle Komponenten mit wobei in solch spezifischen Situationen ein «chemischer Cocktail» durch diverse Botenstoffe wie auch Hormone entsteht und unser Gehirn gewöhnt sich an diesen Zustand und wird geradezu «süchtig» danach.
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Schmerzgedächtnis – Wenn das Gehirn nicht vergessen will
Ein zentrales Element des Schmerzgehirns ist das Schmerzgedächtnis. Ähnlich wie das Gehirn sich an bestimmte Bewegungsabläufe oder Informationen erinnert, kann es sich auch an Schmerz „erinnern“. Besonders bei traumatischen Erlebnissen, wie Unfällen oder Operationen, speichert das Gehirn die Schmerzempfindungen ab. Dies ist ein weiterer Faktor, der dazu führt, dass Schmerzen chronisch werden können, selbst wenn die ursprüngliche Verletzung längst verheilt ist. Das Schmerzgedächtnis sorgt dafür, dass das Gehirn den Schmerz immer wieder abruft, auch wenn keine reale Bedrohung mehr existiert.
Emotionen und Gedanken – Die unsichtbaren Verstärker
Schmerz ist nicht nur eine körperliche, sondern auch eine emotionale Erfahrung. Negative Emotionen wie Angst, Stress oder Traurigkeit können die Schmerzempfindung verstärken. Das Gehirn verknüpft die körperliche Wahrnehmung des Schmerzes mit unseren Gedanken und Gefühlen. Diese Verbindung macht es möglich, dass Menschen, die unter Depressionen oder Angstzuständen leiden, oft stärker und länger Schmerzen empfinden.
Auch unsere Überzeugungen und Erwartungen spielen eine große Rolle. Wenn wir davon überzeugt sind, dass eine bestimmte Aktivität Schmerzen auslöst, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir tatsächlich Schmerzen empfinden. Dieser sogenannte „Nocebo-Effekt“ zeigt, wie mächtig unser Geist im Umgang mit Schmerzen.
Siehe hierzu Sendung Einstein, Studie von Prof. Ted Jack Kaptchuk, Harvard Medical School, Boson- USA / Placebo Effekt,
Keypoint aus meiner Praxiserfahrung: Der Weg hinaus – Kann das Gehirn Schmerz „verlernen“?
Das Schmerzgehirn ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie unser Geist und Körper untrennbar miteinander verbunden sind. Schmerz ist weit mehr als ein physisches Signal – er ist ein komplexes Zusammenspiel aus Wahrnehmung, Erinnerung und Emotion. Indem wir verstehen, wie das Gehirn Schmerz erzeugt und aufrechterhält, können wir neue Wege finden, ihn zu behandeln und letztlich zu überwinden. Schmerz ist real, aber er ist nicht unveränderlich. Wir haben die Macht, unser Gehirn zu trainieren und den Schmerz zu besiegen – eine Reise, die Geduld, Mut und das Vertrauen in die eigene Heilungskraft erfordert.
Die gute Nachricht ist: Ja – Wenn das Gehirn Schmerz lernen kann, kann es ihn auch wieder „verlernen“, wie im Keypoint oben erwähnt: Genau hier setzen Therapiemethoden wie kognitive Verhaltenstherapie, Hypnose, Selbsthypnose, Autogenes Training, Meditation und weitere Endspannungstechniken oder gezieltes Bewegungstraining an: Vereinfacht formuliert, die alten Schmerzmuster können im Gehirn «umprogrammiert» werden. Auch hier gilt ein individueller Ansatz, mit einem massgeschneiderten Programm und es braucht vor allem Raum und Zeit, denn jeder Mensch hat eine eigene Schmerzgeschichte. Meine Patienten: Innen zeigen es mir immer wieder erfolgreich auf, wer in die Aktion kommt, den Trainingsansatz verinnerlicht und dran bleibt kehrt nachhaltig in die Selbstregulation des Körpers zurück und schafft sich weitere Ressourcen für sein Leben und seine Gesundheit!